Mehr als 250 Organisationen fordern von Bundesregierung Aufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan
Zum Internationalen Tag der Menschenrechte (10. Dezember) fordern mehr als 250 deutsche Organisationen, darunter die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), die Bundesregierung auf: Menschenrechte wahren - Versprechen halten! Nehmt die Schutzsuchenden aus Afghanistan mit Aufnahmezusage endlich auf!
„Tun Sie jetzt alles in Ihrer macht Stehende, um die Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage bis Jahresende nach Deutschland zu holen“, heißt es in dem Offenen Brief, der namentlich an die Bundesminister Alexander Dobrindt und Johann Wadephul gerichtet ist.
Noch immer warten rund 1.800 afghanische Menschen darauf, nach Deutschland in Sicherheit zu kommen. Über 70 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Die pakistanische Regierung droht ihnen mit der Abschiebung nach Afghanistan, wenn sie nicht bis Ende Dezember das Land verlassen haben. „Die Zeit drängt. Es zählt buchstäblich jeder Tag“, heißt es in dem Offenen Brief.
In Afghanistan sind die Menschen Verfolgung, Misshandlungen, Gefängnis und sogar dem Tod durch die Taliban ausgesetzt. Der Grund: Sie haben sich über Jahre hinweg für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Frauen- und Kinderrechte eingesetzt: für universelle Werte also – auch im Interesse Deutschlands. Darunter sind ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Mitarbeitende von Hilfsorganisationen ebenso wie Journalist*innen, Richter*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Angehörige der LSBTIQ+ Community sowie Kulturschaffende.
„Hier ist die Bundesregierung gefordert, Menschen zu helfen und Menschlichkeit zu zeigen“, betont dazu Jan Gildemeister, der Geschäftsführer der AGDF. Und die Bundesregierung müsse auch zu ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen stehen, fügt er hinzu.
Die mehr als 250 bundes-, landesweiten und lokalen Organisationen appellieren kurz vor Weihnachten nicht nur an Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, sondern weisen Deutschland vor allem deutlich auf die Verantwortung hin, die es für diese Menschen trägt: „Die menschenrechtlichen Verpflichtungen unseres Landes dürfen kein Lippenbekenntnis sein – das schulden wir jenen, die für Deutschland gearbeitet oder die sich auf uns verlassen haben. Vertrauen ist unsere stärkste Währung. Wer Vertrauen verspielt, handelt gegen Deutschlands Interessen.“
Um die Menschen vor Tod und Verfolgung zu schützen, brauchen sie, heißt es in dem Appell weiter:
1. Sofortige Evakuierungen: Für alle Menschen mit Aufnahmezusage ist die sofortige, unbürokratische Ausreise vor Jahresende einzuleiten.
2. Einen schnellen Abschluss der Verfahren ohne weitere Verzögerung: Die Sicherheitsüberprüfungen und Visaverfahren müssen schnellstmöglich für alle Aufnahmeprogramme – inklusive Menschenrechtsliste und Überbrückungsprogramm – abgeschlossen werden.
3. Sicherheit vor Abschiebungen nach Afghanistan: Die Bundesregierung muss im Gespräch mit der pakistanischen Regierung alle Möglichkeiten nutzen, um weitere Abschiebungen der Betroffenen nach Afghanistan zu verhindern und eine sichere Unterbringung bis zum Abschluss der Verfahren zu gewährleisten.
Den Wortlaut des offenen Briefes, den unter anderem Kabul Luftbrücke, PRO ASYL, Terre des Hommes, Amnesty International, Der Paritätische Gesamtverband, Human Rights Watch und Brot für die Welt unterschrieben haben, finden Sie im Anhang.
Hintergrund:
Derzeit befinden sich in Pakistan rund 1.800 afghanische Staatsangehörige, die eine Aufnahmezusagen aus den vier verschiedenen deutschen Aufnahmeprogrammen haben – Bundesaufnahmeprogramm (§ 23 Absatz 2 AufenthG), Ortskräfteverfahren (§ 22 Satz 2 AufenthG), Menschenrechtsliste (§ 22 Satz 2 AufenthG) und Überbrückungsprogramm (§ 22 Satz 2 AufenthG). Circa 250 von ihnen wurden im August 2025 bereits nach Afghanistan abgeschoben und warten in einem Safehouse auf die Fortsetzung ihrer Verfahren. Während die Bundesregierung angekündigt hat, die Verfahren für Personen im Bundesaufnahmeprogramm und im Ortskräfteverfahren weiterzuführen, sind die Verfahren der Menschenrechtsliste und im Überbrückungsprogramm weiterhin ausgesetzt.
Pressemitteilung der AGDF zur neuen Friedensdenkschrift der EKD
Bonn/Dresden, 10. November 2025/dj
Deutliche Kritik an der neuen EKD-Friedensdenkschrift hat die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) geäußert. Die neue Denkschrift setze eine neue Priorität beim Schutz vor Gewalt, betone dabei die Notwendigkeit militärischen Handels und unterschätze die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung, heißt es in einer Stellungnahme des Friedensverbandes. Damit verändere die Friedensdenkschrift das Konzept des gerechten Friedens grundlegend, womit der Rat der EKD offenbar der Logik der Zeitenwende folge und dem Schutz vor Gewalt Vorrang einräume vor dem Primat der Gewaltfreifreiheit. „Damit tritt die Bestimmung des gerechten Friedens als Doppelbewegung der Abnahme von Gewalt und der Zunahme von Gerechtigkeit in den Hintergrund, die den Horizont der evangelischen Friedensethik in Richtung globaler Fragen und der Ökumene geweitet hatte“, kritisiert die AGDF.
Zwar hebe die neue Denkschrift hervor, dass militärisches und ziviles Handeln eng miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt werden müssten, aktuell werde aber vor allem militärisches Handeln für einen wirksamen Schutz vor Gewalt als notwendig erachtet, so der Friedensverband. Dabei verkenne die Denkschrift aber, dass militärisches Handeln schnell an seine Grenzen stoße, wenn ein Krieg ausgebrochen sei, weswegen die Sustainable Development Goals (SDG) die Bedeutung von durchsetzbarem Recht und starken Institutionen, die solchen Rechtsbrüchen widerstehen könnten, betonen würden, mahnt die AGDF. Doch die Denkschrift unterstreiche stattdessen eine deutlich veränderte Bewertung des internationalen Rechts mit der klaren Einschränkung, dass Sicherheit nicht allein und auch nicht vorrangig durch eine Stabilisierung der internationalen Rechtsordnung erreicht werden könne, sondern durch eine nationale Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit. „Diese Fokussierung auf die eigene nationale militärische Stärke schwächt das internationale Recht und die internationalen Institutionen, die einzig in der Lage wären, die Macht und Gewalt der Stärkeren mit dem Ziel einer globalen demokratischen Ordnung zu begrenzen. Schutz vor Gewalt wird zu einem Privileg derjenigen, die sich mit Macht rüsten können“, gibt der Friedensverband zu bedenken.
Die neue Denkschrift zeichne sich zudem durch eine Überschätzung des Militärs im Blick auf den Schutz vor Gewalt aus und sei darauf fokussiert, militärisches Handeln friedensethisch zu rehabilitieren, heißt es in der Stellungnahme der AGDF. Die EKD fordere hier eine Politik, die auf militärische Stärke baut, obwohl alle Analysen zeigen würden, dass militärisches Handeln nur sehr eingeschränkt zu generationengerechtigkeit, globaler sozialer Gerechtigkeit, Stärkung der Demokratie oder Sicherheit der Menschenrechte beitragen könne, die Probleme im Gegenteil oft verschärfe, so der Friedensverband. Zwar fordere die Denkschrift größtmögliche Zurückhaltung bei präemptiven Einsätzen militärischer Gewalt gegen Massenvernichtungswaffen des Feindes, hält am Ende aber einen solchen Angriff zur Verhinderung völkerrechtswidriger Bewaffnung für legitim. „Unter dieser Perspektive lässt sich in einem eskalierenden Konflikt kein Einhalt mehr gebieten, die ethische Argumentation wird bedeutungslos“, unterstreicht die AGDF. Werde auf der einen Seite das Militär überschätzt, so erfährt nach Ansicht der AGDF die zivile Konfliktbearbeitung dagegen eine Geringschätzung in der neuen Denkschrift. Hier werde die reale Praxis derzivilen und demokratischen Konfliktbearbeitung mit einer rhetorischen Wendung als unrealistisch und unwirksam für die wirklich großen Konflikte und Kriege qualifiziert, kritisiert der Friedensverband. Und die Erfahrungen von Fachorganisationen für Friedensforschung, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensbildung seien in die neue Denkschrift nicht eingeflossen, obwohl diese hätten helfen können, Möglichkeiten und Grenzen ziviler Konfliktbearbeitung in Konflikt- und Kriegssituationen in den Blick zu nehmen, macht die AGDF deutlich.
„Die Denkschrift weiß, dass für eine Förderung von Wegen der zivilen Konfliktbearbeitung und der sozialen Verteidigung erhebliche Ressourcen nötig sind; sie verzichtet aber darauf, diese in Beziehung zu den
Ausgaben für die aktuelle Aufrüstungsdynamik zu setzen und mehr Gelder für den Ausbau der zivilen Konfliktbearbeitung zu fordern. Kirchen und andere Gruppen der Zivilgesellschaft sollten sich nicht nur
innerstaatlich für den Rechtsstaat mit seinem Gewaltmonopol einsetzen, der die Würde der Menschen der Willkür der Macht entzieht, sondern auch international Prozesse fordern und fördern, durch die die Macht der einzelnen Staaten so beschränkt wird, dass sie keine völkerrechtswidrigen Kriege mehr führen können. Ein solcher Blick nach vorne, Impulse für eine solche Zukunftsperspektive fehlen in der Denkschrift. Von einer Kirche, die aus der Hoffnung lebt und Mut machen will, werden dazu aber Aussagen erwartet“, gibt die AGDF in ihrer Stellungnahme zu bedenken.
Insgesamt dominiere in der Denkschrift das Interesse, sich auf sicherem und politisch realistischem Terrain zu bewegen und Gottes Friede als Ewigen Friede zu charakterisieren, der angesichts der Sünde auf Erden nie zu erreichen sei, urteilt die AGDF ernüchtert. Dass Gottes Frieden aber schon jetzt wirksam sei und in konkreten Schritten Gestalt gewinne, werde in den Hintergrund gedrängt, bedauert der Friedensverband. Dabei wäre es wichtig gewesen, dass die Denkschrift deutlicher das Vertrauen in die Friedenskraft Gottes stärke, die schon jetzt in der Welt wirksam sei, und Einzelne, Gemeinden, Diakonie und Gesellschaft zu konkretem Engagement für einen gerechten Frieden ermutige, macht der Friedensverband deutlich. Doch stattdessen beschränke sich die Denkschrift in ihren geistlichen Impulsen auf das Individuelle, wonach zwar einzelne Personen ihre Friedensverantwortung im Gebet, im alltäglichen Handeln und in politischer Verantwortung wahrnehmen würden. Doch dass auch Gemeinden und Kirchen, Diakonie und Ökumene Akteurinnen in der Öffentlichkeit seien und die Wirklichkeit mitgestalten könnten, unterlasse die Denkschrift, bedauert der Verband.
⇒ Zum Beitrag AGDF: Neue EKD-Friedensdenkschrift verändert Konzept des gerechten Friedens grundlegend