Ulrike Poppe über Alltag und Opposition im autoritären Staat
Mit Ulrike Poppe war jetzt eine der bekanntesten Oppositionellen gegen die realsozialistische DDR-Diktatur im Antikriegshaus zu Gast. Ihr Vortrag zum Thema „Alltag und politische Opposition im autoritären Staat“ war auch eine authentische Schilderung ihres eigenen Lebensweges von der aufgeweckten Lehrerstochter, die den Sozialismus hinterfragt, bis hin zur profilierten Oppositionellen, die als ‚Landesverräterin‘ zusammen mit Bärbel Bohley im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen eingesperrt wird. Erst aufgrund massiver internationaler Proteste kommt sie nach 6 Wochen frei. 1989 gestaltet sie als Mitglied von ‚Demokratie jetzt‘ und Teilnehmende am Runden Tisch den Umbruch mit, der schließlich in der deutschen Vereinigung endet.
Dazwischen liegen für die im geschichtsträchtigen Jahr 1953 Geborene viele Facetten persönlicher und politischer Entwicklung, die sie immer stärker mit der Glaubwürdigkeitslücke konfrontiert, welche unübersehbar zwischen staatlichem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit klafft und die maßgeblich zum Untergang des Systems beigetragen hat.
Schon früh wird klar, dass eine freie Diskussion über politische Positionen in diesem Staat nicht möglich sein wird. So endet der Versuch der fünfzehnjährigen Ulrike und zweier Klassenkameraden, die Möglichkeiten alternativer sozialistischer Gesellschaftsmodelle zu untersuchen, in monatelangen schulischen Querelen und dem Schulverweis für einen beteiligten Mitschüler, dessen Vater nicht der SED angehört und der deswegen ohnehin einer ungünstigen Prognose unterliegt.
Ulrike Poppe macht aber auch deutlich, dass es für viele Menschen abseits jeglichen Karrieredenkens zunächst durchaus gute Gründe gab, SED-Mitglied zu sein. Am wichtigsten dabei sicher die Suche nach einem Staatsmodell alternativ zu den Entwürfen, die die Welt in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in verheerende Kriege geführt hatten und aktuell globale Ungerechtigkeiten fortschrieben. Immer mehr änderte sich jedoch diese Einstellung, wurde die Fortführung der Parteimitgliedschaft eine Folge von gesellschaftlicher Resignation und Angst vor staatlicher Repression. Begleitet wurde diese Entwicklung von einer Flucht in ‚innere Emigration‘ und in eine oppositionelle Geisteshaltung, deren Ausdruck den meisten Fällen auf die eigenen vier Wände begrenzt war. Wer nicht bereit war, sich diesem Zwang zu unterwerfen, zahlte wie Ulrike Poppe in Form von gesellschaftlicher und beruflicher Benachteiligung. Der Zugang zu den allermeisten Studiengängen wurde verwehrt, das Studium der Theologie eröffnete für viele die einzige Möglichkeit auf eine akademische Bildung. „Wir hatten einige ungläubige Geistliche in der DDR“, so Frau Poppe in ihrem Vortrag. Auch das eine der absurden Auswirkungen der SED-Diktatur.
Vortrag über Alltag und politische Opposition im autoritären Staat
Mit Ulrike Poppe kommt am 19. April um 19.00 Uhr eine der profiliertesten Oppositionellen der damaligen DDR nach Sievershausen. In den achtziger Jahren war Poppe in diversen Gruppen tätig, u.a. in „Frauen für den Frieden“ und in der Initiative „Frieden und Menschenrechte“. Als Dissidentin wurde sie mit sogenannten „Zersetzungsmaßnahmen“ belegt und 1983 vom Ministerium für Staatssicherheit wegen Landesverrats verhaftet, kam jedoch aufgrund von Protesten im In- und Ausland nach 6 Wochen wieder frei. Im September 1989 wurde Ulrike Poppe Gründungsmitglied und Sprecherin der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“. Nach den ersten freien Wahlen zur Volkskammer arbeitete Poppe in der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im DDR-Parlament. Seit 2009 ist Ulrike Poppe als Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur tätig.