Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe „Wie wollen wir leben?“ war am Sonntag Andreas Siemoneit zu Gast im Antikriegshaus. Er referierte zu Ideen der Postwachstumsökonomie und brachte in einem lebendigen und wissensreichen Vortrag dem Publikum dieses komplexe und ein wenig sperrige Thema näher. Sein Hauptanliegen war zu zeigen, wo in unseren Gesellschaften die Hinderungsgründe für eine Transformation zur Nachhaltigkeit liegen. Denn dass wir umsteuern müssen, war bei dieser Veranstaltung schon Konsens. Siemoneit erläuterte noch einmal kurz, dass die derzeitigen Versuche des Umsteuern kaum Erfolge zeigen: trotz hoher Effizienzgewinne verbrauchen wir nicht weniger Rohstoffe, sondern tendenziell sogar mehr, die bisherigen Recycling-Quoten sind eher mäßig und die propagierte „grüne“ Hochtechnologie steckt in dem Dilemma, entweder den Trend des zu hohen Rohstoffverbrauchs fortzusetzen oder nicht bezahlbar zu sein. Siemoneits Fazit an dieser Stelle: Statt Nachhaltigkeit zu fördern, wie es heute geschieht, müssen wir Nicht-Nachhaltigkeit durch Regeln ausbremsen, also einen Rahmen vorgeben, der nicht-nachhaltiges Wirtschaften verhindert.
Siemoneit zielte darauf, dass in unserem Wirtschaftssystem einerseits der ökonomische Druck auf die KonsumentInnen, in diesem System „mitzumachen“ immer weiter wächst, weil zum einen neue Geräte das Leben einfacher und flexibler machen, zum anderen Alternativen nicht mehr verfügbar sind (Beispiel Smartphone oder Auto), andererseits ökonomische Vermögens- und Machtkonzentration einen wirklichen Wettbewerb und ein stabiles wirtschaftliches Gleichgewicht verhindern. Diese – im Gegensatz zur vorherrschenden Ideologie zumeist leistungslose, weil hauptsächlich durch höheren Materialeinsatz zustande kommende – Konzentration von Macht und Vermögen führt zum derzeitigen Dilemma des zu hohen Rohstoffverbrauchs für höheren Lebensstandard und gleichzeitiger Zerstörung von Natur und Gesellschaften, also niedrigerem Lebensstandard.
Wenn also ein Rahmen gesetzt wird, der Vermögen und Rohstoffverbrauch begrenzt, können wir den unbeschränkten Kapitalismus, der heute herrscht, in eine robuste und einfachere Marktwirtschaft (und Lebensweise) zurückführen, die durchaus auf Leistungsprinzip und Wettbewerb beruhen kann und in der sich die Menschen frei entfalten können. Siemoneits Forderung ist, dass eine Gesellschaft möglichst wenig Vorgaben machen, sondern nur den nicht zu überschreitenden Rahmen festlegen sollte, um sich selbstbestimmt zu einem stabilen Gleichgewicht zu entwickeln.
Unklar blieb, wer bei der derzeitigen Machtkonzentration in der Lage sein kann, diesen Rahmen zu setzen. Hier kommt – das machte auch die anschließende Diskussion deutlich – doch die Zivilgesellschaft ins Spiel, die durch Eigeninitiative in Richtung nachhaltigen Handelns die Politik zu dieser Rahmensetzung drängt. Dabei spielen die vielen kleinen Initiativen, die es in dieser Richtung schon gibt, eine bedeutende Rolle. Der Weg zu einer anderen Gesellschaft jenseits des Wachstumswahns ist allerdings lang und die Kräfte, die den Status quo aufrecht erhalten wollen, sind stark.
200 Jahre Wiener Kongress–Hannover, Braunschweig und die Neuordnung Europas im 19. Jahrhundert
Dienstag, den 29. September 2015, 19.00 Uhr im Antikriegshaus
Am Dienstag, 29. September um 19 Uhr kommt Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel vom Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte an der TU Braunschweig zu seinem 3. und abscjließenden Vortrag im Rahmen der Reihe „Auf dem Weg nach Waterloo“ nach Sievershausen. Der Schwerpunkt dieses Mal wird auf den Ergebnissen des Wiener Kongresses liegen, die das Europa des 19. Jahrhunderts nachhaötig verändern sollten.
Mit dem endgültigen Sieg über Napoleon im April 1814 entstanden für die Alliierten und für ihre kleinen Verbündeten neue Probleme. In den Verträgen und Konferenzen von Mitte 1812 bis März 1814 war die Beseitigung der napoleonischen Vorherrschaft und die Wiederherstellung eines Gleichgewichtssystems in Europa, mit einem starken bourbonischen Frankreich und zahlreichen Staaten zweiten und dritten Ranges, Konsens gewesen. Ganz aus der Welt waren eigennützige Ansprüche auf Territorialvergrößerung jedoch nicht, weder bei den Alliierten, noch bei ihren kleineren Verbündeten. Begründet wurden diese in erster Linie mit den Lasten, die die einzelnen Länder in über zwanzig Kriegsjahren getragen hatten. Zudem mußten manche Staaten überhaupt erst wiederhergestellt werden, so die »Welfenlande« Hannover und Braunschweig-Wolfenbüttel, oder zu alter Größe zurückkehren, wie das im Frieden von Tilsit 1807 arg verkleinerte Preußen. Sollten diese Wiederherstellungen die Verhältnisse von vor den napoleonischen Kriegen getreulich widerspiegeln? Oder sollten sinnvolle Arrondierungen und Länderaustausche vorgenommen werden? Und woher sollten die Gebiete für die Vergrößerungsansprüche genommen werden? Wie, schließlich, sollte das neue staatsrechtliche Band der deutschen Staaten aussehen? War ein Wiederaufleben des Alten Reiches möglich, oder welch’ andere zukunftsfähigen Möglichkeiten waren denkbar? Diese Fragen sollten auf einem Kongreß beraten und beschlossen werden, der ab August 1814 nach Wien einberufen wurde und zu dem alle am gerade beendeten Krieg beteiligt Parteien aufgefordert wurden, Gesandte zu entsenden. Dieser »Wiener Kongreß« der Jahre 1814/15 beendete schließlich die Epoche tiefgreifender Umwälzungen, die mit der Französischen Revolution von 1789 und der ihr folgenden Herrschaft Napoleons das Antlitz Europas und das Leben seiner Einwohner nachhaltig verändert hatte. Auf gesellschaftlicher Ebene läuteten die Ideen von Freiheit und Gleichheit das Ende der Vorherrschaft des alten Adels ein. Das internationale Staatensystem schließlich, das Gleichgewicht der Großmächte in Europa, wurde ebenso nachhaltig und wirkungsvoll neu geordnet, wie mit dem Deutschen Bund der Kern Europas, die deutschen Staaten. Es waren Entscheidungen, die bis heute nachwirken und sichtbar sind.
Noch während die Staatsmänner Europas auf dem »Wiener Kongreß« verhandelten, kehrte Napoleon überraschend zurück. Am Ende dieses Intermezzos standen am 18. Juni 1815 die Niederlage von Waterloo und die Verbannung auf die im Atlantik vor Afrika gelegene britische Insel St. Helena. Die Befreiungskriege veränderten Europa und bedeuteten den Ausgangspunkt der nationalen Einigungsbewegung in Deutschland. Der Sohn des alten Erzfeindes von Napoleon, des braunschweigischen Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand, Friedrich Wilhelm, sollte als »Schwarzer Herzog« zu einer der legendären Heldenfiguren dieser Befreiungskriege werden, nachdem er am 16. Juni 1815 in einem Vorgefecht bei Quatre-Bras tödlich verwundet worden war.