Sievershäuser Ermutigung 2010: Begründung der Jury
Damals wie heute sahen und sehen wir die Dringlichkeit, jene zu ehren und zu ermutigen, die sich für Frieden und Menschenrechte auf dieser Welt einsetzen. Denn dieser Einsatz ist weiterhin notwendig, er ist keinesfalls selbstverständlich. Er ist häufig mit persönlichen Opfern verbunden. Und er hat Vorbildcharakter für uns alle.
So soll dieser Preis Menschen würdigen, die besondere Beiträge zu einer konstruktiven Friedens- und Menschenrechtsarbeit geleistet haben. Er soll ihnen Mut machen und sie durch das Preisgeld praktisch unterstützen. Gleichzeitig soll eine solche Preisverleihung uns diese besonderen Menschen und ihre Arbeit bekannt machen und auch uns Ansporn sein.
Die 'Sievershäuser Ermutigung' wird zu wechselnden Schwerpunkten innerhalb der Friedens- und Menschenrechtsarbeit ausgeschrieben. In diesem Jahr wollten wir Einzelpersonen oder Initiativen auszeichnen, die unter schwierigen Rahmenbedingungen für Presse- und Meinungsfreiheit einstehen und sich durch einen unabhängigen, unbequemen und unbestechlichen Journalismus zu friedens- und menschenrechtspolitischen Themen bemerkbar gemacht haben.
Zwei Überlegungen waren bei der Wahl dieses Schwerpunkts maßgeblich:
Zum einen die Überlegung, dass Presse- und Meinungsfreiheit eine notwendige Voraussetzung für eine friedlichere Welt sind. Ohne den freien Austausch von Fakten, Ideen und Ansichten ist Frieden nicht denkbar. Für die Presse- und Meinungsfreiheit gerade auch unter schwierigen Bedingungen staatlicher oder nichtstaatlicher Repression einzustehen, verdient deshalb hohen Respekt.
Zum anderen bedarf es angesichts der zunehmend unübersichtlichen Weltlage eines unabhängigen Journalismus, um Licht in das Dunkel der zahlreichen Kriege und Konflikte, der massiven Menschenrechtsverletzungen, des Machtmissbrauchs, schreiender Ungerechtigkeiten oder Umweltverbrechen zu bringen, die einem nachhaltigen Frieden im Wege stehen.
Mit María Isabel Gámez zeichnet die Jury eine Persönlichkeit aus, die sich dieser Themen in ihrer journalistischen Arbeit verantwortungsvoll und vorbildlich angenommen hat. Ihr Engagement für eine unabhängige Berichterstattung unter Inkaufnahme erheblicher persönlicher Risiken und Nachteile soll ausgezeichnet, gewürdigt und durch den Preis ermutigt werden.
Mit María Isabel Gámez hat die Jury unter vielen beeindruckenden Nominierungen zudem bewusst eine junge Journalistin ausgewählt, die unter schwierigsten Verhältnissen diesen Beruf ergriffen und erlernt und dabei ein hohes Maß an journalistischer wie friedensethischer Kompetenz bewiesen hat.
Halten wir uns diesen Lebensweg kurz vor Augen: Die frühe Kindheit verbringt sie während des Bürgerkriegs in El Salvador in Flüchtlingslagern in Honduras, kehrt schließlich nach El Salvador zurück. Bereits mit 13 Jahren beginnt sie ihre Tätigkeit bei Radio Victoria, einem kommunalen Radio, das für die lokale Bevölkerung häufig das einzige Informationsmedium und Kommunikationsmittel ist. Und das sich bis heute der Jugend- und Nachwuchsarbeit verschrieben hat, um jungen Menschen eine Perspektive zu bieten.
Zuletzt war María Isabel Gámez Leiterin der Nachrichtenredaktion des Senders und selbst Ausbilderin. Sie hat für ihren Sender über Umweltverbrechen im Bergbau, soziale Missstände, Menschenrechtsverletzungen und Korruption berichtet.
Als María Isabel Gámez und andere Journalisten von Radio Victoria in ihren Reportagen die Anti-Bergbau-Kampagnen des Umweltkomitees in der Region Santa Marta unterstützten und die Verurteilung der Verantwortlichen für die Ermordung lokaler Umweltaktivisten forderten, gerieten sie selbst in den Fokus. Schließlich erhielt María Isabel Gámez im Dezember 2009 Todesdrohungen. Amnesty International, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Botschaft vor Ort setzten sich aufgrund der akuten Gefährdungslage für eine vorübergehende Ausreise nach Deutschland ein. Auf Einladung der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ist María Isabel Gámez kurz darauf mit ihrem Sohn in Deutschland eingetroffen.
Wir zeichnen mit Ihnen, liebe María Isabel Gámez, eine Journalistin aus, die ihr Handwerk unter widrigsten Bedingungen und mit bewundernswertem persönlichen Einsatz erlernt hat und ausübt. Wir zeichnen eine Persönlichkeit aus, die genau für jenen unabhängigen Journalismus steht, den wir so dringend brauchen: Einen Journalismus mit Haltung und Verantwortung gegenüber den Menschen und deren Belangen. Einen Journalismus, der sich nicht einschüchtern lässt, sondern sich mutig an brenzlige Themen heranwagt. Einen Journalismus, der nicht opportunistisch wegschaut, wenn Menschenrechte und rechtsstaatliche Prinzipien zur Verfügungsmasse mächtiger Interessen zu werden drohen, sondern diese einklagt.
Wir wünschen uns, dass dieser Friedenspreis seinem Namen gerecht wird und für Sie, liebe Maria Isabel Gamez, eine Ermutigung sein kann, Ihren Weg weiter zu gehen. Wir wünschen Ihnen für diesen Weg alles Gute - insbesondere, dass sie zukünftig niemals wieder Repressalien und Drohungen ausgesetzt werden mögen wie vor einem Jahr. Und wir hoffen, Ihnen mit dem Preisgeld eine Starthilfe für das nach Ihrer Rückkehr ins Auge gefasste Studium geben zu können.
Schließlich fordern wir dazu auf, sich Menschen wie María Isabel Gámez zum Vorbild zu nehmen, für deren Rechte sowie für Frieden und Menschenrechte im allgemeinen einzutreten und sich einzumischen.