Eine Erklärung von medico international zum drohenden türkischen Einmarsch
Die drohende Katastrophe verhindern
In Nordsyrien/Rojava droht eine humanitäre und politische Katastrophe
Die Bilder jesidischer Männer und Frauen, die 2014 von kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vor dem bereits begonnenen Genozid gerettet wurden, werden wir nicht vergessen. Nicht auszuschließen aber, dass wir bald Bilder sehen müssen, die uns kurdische Opfer zeigen. Als die Jesiden vor den Augen der Weltöffentlichkeit von ihren Peinigern überfallen wurden, waren sie von allen Mächten dieser Welt verlassen – außer von den Kurdinnen und Kurden. Letztere trugen auch während der vergangenen Jahre die Hauptlast des Kampfes gegen den Islamischen Staat, etwa 10.000 ihrer Kämpferinnen und Kämpfer haben ihr Leben verloren. Nun könnte es sie selbst treffen: nicht zum ersten Mal. Seit der Ankündigung des Abzugs der US-Truppen droht die Türkei mit dem Einmarsch ihrer Armee in Rojava, die mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete des syrischen Nordens. Präsident Erdogan hat vor der syrischen Grenze bereits 80.000 Soldaten und seine Luftwaffe in Stellung gebracht. Es ist absehbar, dass es niemanden gibt, der den Bewohnerinnen und Bewohnern Nordsyrien beistehen wird. Wir melden uns deshalb heute zu Wort, um Europa aufzufordern, der angekündigten humanitären und politischen Katastrophe in den Weg zu treten.
Kommt es zur Eroberung Rojavas, werden die türkische Armee und verbündete dschihadistische Milizen wiederholen, was sie im Januar 2018 mit der völkerrechtswidrigen Besetzung der kurdischen Region Afrin begonnen haben. Dort nutzen sie die Flucht von weit über 100.000 Menschen für ein systematisches Umsiedlungsprogramm. Dasselbe geschah 2016 bereits in kurdischen Städten im Südosten der Türkei, die von türkischen Kampffliegern zuvor massiv bombardiert wurden. Aus Rojava aber wird niemand mehr fliehen können: für die Menschen dort wird es keinen sicheren Ort mehr geben.
Mit einer Eroberung Rojavas würde der dort seit mittlerweile sechs Jahren voranschreitende Demokratisierungsprozess zerstört. Die Selbstverwaltung Nordsyriens war nie und ist auch heute keine bloß kurdische, sondern eine multiethnische und multireligiöse Selbstverwaltung. Unter den widrigen Bedingungen einer vom Krieg verwüsteten Region können ihre Bürgerinnen und Bürger frei ihren Ansprüchen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität folgen. Es gab und gibt demokratische Wahlen, dieMedien haben mehr Rechte als in den anderen Teilen Syriens. Die Bemühungen um den Aufbau einer Basisgesundheitsversorgung sind außerordentlich und gelten auch den mehreren hunderttausend Menschen aus Syrien und dem Irak, die dort Zuflucht gefunden haben. Im Unterschied zu den anderen Kriegsparteien in Syrien hat sich die nordsyrische Selbstverwaltung Vorwürfen von Menschenrechtsverbrechen gestellt und sich auf internationale Prozesse ihrer Überprüfung eingelassen.
Um sich mit Erdoğan zu arrangieren, verhandeln die USA jetzt über die Einrichtung einer sogenannten Schutzzone. Doch bildet die in Frage stehende Region das Zentrum des mehrheitlich kurdischen Siedlungsgebiets einschließlich der Städte Kobanê und Qamischli. Sie türkischen Truppen zu öffnen, heißt, die Menschen Nordsyriens jeden Schutzes zu berauben.
Deshalb müssen die verbliebenen diplomatischen Möglichkeiten genutzt werden, um die vor aller Weltöffentlichkeit angekündigte Katastrophe abzuwenden. Nach Lage der Dinge hängt dabei viel an der Europäischen Union, die mit Frankreich, Großbritannien, Belgien und Deutschland im UN-Sicherheitsrat vertreten ist. Wir appellieren an die europäischen Regierungen, dazu alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen. Das muss die entschlossene Bemühung um eine gesamtsyrische Friedenslösung einschließen, zu der auch gehört, die zweite angekündigte Katastrophe zu verhindern, einen Vernichtungsfeldzug Assads und seiner Verbündeten gegen die Provinz Idlib. Eingekesselt sind dort eben nicht nur dschihadistische Milizen, die sich vieler Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht haben. Eingekesselt sind auch Millionen von Zivilistinnen und Zivilisten. Zu ihnen gehören auch viele Angehörige der demokratischen Opposition, die bereits einen langen Leidensweg aus Krieg und Verfolgung hinter sich haben.
Statt Erdogans Diffamierung der Kurden und überhaupt aller Oppositionellen als „Terroristen" zu flankieren, sollte die die EU die Kooperation überprüfen, die sie in der Migrationspolitik mit Ankara eingegangen ist. Dies richtet sich insbesondere an die deutsche Regierung, die bereits das Zeigen kurdischer Symbole verbietet. Im Gegenzug ist das Recht von Menschen aus Syrien, in Deutschland und Europa Schutz vor ihren Verfolgern zu finden, ausdrücklich zu garantieren. Das läge auch im eigenen Interesse: Wer demokratische Prozesse schwächt oder gar zerstört, indem er autoritären Regimes freie Hand lässt, wird diese Welt für niemanden sicherer machen können.
Aktuelles über Rojava
AGDF zieht eine positive Bilanz ihres Jubiläumsjahres
Sievershausen, 28. September 2019
Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) hat auf ihrer Mitgliederversammlung in Lehrte-Sievershausen eine positive Bilanz ihres Jubiläumsjahres gezogen. Der Friedensverband war 1968, also vor 50 Jahren, gegründet worden. Seit September vergangenen Jahres hatte es aus diesem Anlass über das Jahr verteilt zahlreiche Veranstaltungen gegeben. „Ein solches Jubiläumsjahr bedeutete für unseren Verband eine große Anstrengung, aber es hat sich gelohnt“, betonte die AGDF-Vorsitzende Christine Busch auf der Mitgliederversammlung. So sei es gelungen, die öffentliche Wahrnehmung der AGDF und ihrer Themen wie Friedensdienst und Gewaltfreiheit zu fördern, aber auch die Zusammenarbeit und die Identifikation der Mitgliedsverbände innerhalb der AGDF zu verstärken, ist Christine Busch überzeugt. Mehr